100 Tage im Amt

Neues lernen, einlesen und zuhören: Das prägt den Alltag eines Neulings im Glarner Regierungsrat. Nach 100 Tagen im Amt ist es für Benjamin Mühlemann an der Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. In den Interviews in der «Südostschweiz» und auf «Tele Südostschweiz» berichtet der neue Kultur- und Bildungsdirektor von seinen ersten Erfahrungen und Eindrücken.

Die beiden Neuen haben sich eingelebt

Ende der Schonfrist: Gut 100 Tage ist es her, seit die neuen Mitglieder des Glarner Regierungsrates ihren Eid geleistet haben. Jetzt ziehen Marianne Lienhard (SVP) und Benjamin Mühlemann (FDP) eine erste Bilanz.

Mit Marianne Lienhard und Benjamin Mühlemann sprach Lisa Koch

Sie gelten beide als Sparpolitiker – und das Erste, was auf Ihren Schreibtischen lag, war die Effizienzanalyse. Da haben Sie sicher gejubelt?

(beide lachen) Marianne Lienhard: Ich konnte da für mein Departement kaum mehr Einfluss nehmen. Die Sparmassnahmen hatte der Regierungsrat noch vor meinem Amtseintritt beschlossen. Mein Job war dann, diese vor den landrätlichen Kommissionen zu verteidigen.

Benjamin Mühlemann: Das war bei mir ähnlich. Nachzuvollziehen, was sich der externe Berater, das Departement und die Regierung bei den Massnahmen überlegt haben, war anfangs allerdings eine Herausforderung.

Der Sparplan umfasst über 100 Massnahmen. Wie kann man sich da in so kurzer Zeit einarbeiten?

Lienhard: Einfach war es nicht – wie eigentlich alles zu Beginn. Aber da muss man durch. Und einen Vorteil hatte der Sprung ins kalte Wasser: Durch die Effizienzanalyse konnte ich mir einen guten Einblick in alle Bereiche des Departements verschaffen.

Mühlemann: Das kann ich bestätigen. Weil mein Departement stark von den Massnahmen betroffen ist, war es für mich eine sehr intensive Phase. Aber es hat geholfen, das Departement bis ins kleinste Detail kennenzulernen.

Das Parlament hat angekündigt, dass es mit vielen der aufgelisteten Einsparungen nicht einverstanden ist. Gibt es Bereiche, in denen Sie kämpfen wollen?

Mühlemann: Ja, viele Bereiche. Ein konkretes Beispiel für Aufgabenverzicht ist die Naturwissenschaftliche Sammlung in Engi. Die Regierung will die Ausstellung wegen zu geringer Besucherzahlen schliessen. Die landrätliche Kommission sträubt sich nun dagegen. In meinen Augen können wir auf diesen Ausgabenposten verzichten.

Lienhard: Mich haben vor allem die Diskussionen in der landrätlichen Kommission erstaunt. Hier wartet man schon lange auf die Effizienzanalyse. Aber wenn es um konkrete Massnahmen geht, ändert sich die Meinung wieder. Die Einsicht in notwendige Sparmassnahmen könnte grösser sein.

Herr Mühlemann. Befürchten Sie bei Sparmassnahmen im Schulbereich grossen Gegenwind aus der Bevölkerung?

Mühlemann: Nein. Ich denke, wir konnten gut aufzeigen, dass die Sparmassnahmen so umgesetzt werden, dass die Schulqualität nicht leidet. Es wird nicht auf Kosten der Schüler gespart, sondern auf der organisatorischen Ebene.

Wirkt sich das nicht auf die Schüler aus?

Mühlemann: Mir ist klar, dass dies eine Gratwanderung ist. Aber wir haben Lösungen parat – deshalb bleibe ich optimistisch.

100 Tage im Amt. Ihre erste Bilanz?

Lienhard: Zu Beginn war alles neu. Der Job, die Arbeitsbereiche, die Mitarbeiter. Plötzlich muss man aus dem Stand Entscheidungen fällen und schnell reagieren. Auf so etwas kann man sich nicht vorbereiten. Glücklicherweise wurde ich von meinem Team sehr gut und freundlich aufgenommen. Vor allem das Vertrauen, mit dem mir begegnet wurde, war sehr hilfreich. So kann man wirken.

In Ihrer ersten Amtswoche hat Tridonic 115 Mitarbeiter entlassen. Haben Sie da nicht gedacht: Wo ist hier der Fluchtweg?

Lienhard: Nein. Mir war klar, dass man nicht nur mit angenehmen Nachrichten konfrontiert wird. Auch solche Situationen gilt es, möglichst nüchtern anzugehen und das Beste daraus zu machen. Aufregung nützt niemandem.

Herr Mühlemann, in Ihrem Departement waren viele traurig über den Weggang der alten Chefin Christine Bickel. Wurden Sie trotzdem gut aufgenommen?

Mühlemann: Ja, sehr. Ich habe bewusst ein Einführungsprogramm absolviert und in allen Abteilungen das persönliche Gespräch gesucht. Wenn die Mitarbeiter merken, dass sich ihr Chef für ihre Aufgaben interessiert, wächst das Vertrauen.

Viele Ihrer Mitarbeiter sind älter als Sie.

Mühlemann: Das war bisher kein Thema – jedenfalls ist nie etwas zu mir durchgedrungen. Um ernst genommen zu werden, braucht es vor allem gegenseitigen Respekt, man muss die richtigen Fragen stellen und gut zuhören können. Da spielt das Alter dann keine Rolle.

Anders als Frau Lienhard, die bereits Erfahrungen im Finanz- und Wirtschaftsbereich sammeln konnte, war das Ressort Bildung und Kultur für Sie völlig neu. Wie viele Wochenenden haben Sie dem Studium des Bildungswesens geopfert?

Mühlemann: Ganz neu waren die Themen nicht. In meinem vorherigen Job bei einem Arbeitgeberverband war ich intensiv mit der Berufsbildung konfrontiert. Aber es ist schon so, dass ich im Moment sehr viel lese und viele Gespräche führe, um Wissen aufzusaugen. Gleich nach Amtsantritt habe ich mich auf eine kleine Schulreise durch den Kanton begeben, um Einblicke in die Unterrichtsformen aller Schulstufen zu gewinnen. Das ermöglichte spannende Begegnungen und war enorm wertvoll.

Hatten Sie denn überhaupt Freizeit?

(beide schauen sich an und lachen) Mühlemann: Das ist wohl eine Frage des Zeitmanagements. Im Kultur- und Sportbereich gibt es viele Veranstaltungen. Daher bin ich oft auch an Wochenenden beruflich unterwegs. Dafür muss ich nicht mehr nach Zürich zur Arbeit pendeln und kann zum Beispiel zum Mittagessen nach Hause zur Familie, was ich sehr geniesse.

Lienhard: Ich habe am Wochenende weniger Anlässe. Ich nehme aber häufig Dokumente mit nach Hause, um sie in Ruhe zu lesen. Mein Terminplan hat sich kaum geändert, da ich vorher bereits einen intensiven Job hatte.

Wo liegen in naher Zukunft die drängendsten Projekte Ihrer Departemente?

Mühlemann: Weit oben auf unserer Agenda steht die Familienpolitik. Sie wird Thema an der Landsgemeinde sein und beschäftigt uns sehr. Angedacht ist die Ausweitung der Tagesstrukturen auf den Vorschulbereich. Da erarbeiten wir gerade die Gesetzesvorlage und entsprechende Verordnungen. Auch die Umsetzung der Effizienzanalyse steht an. Verschiedenste Einsparungen müssen im bereits laufenden Budgetprozess berücksichtigt werden.

Lienhard: Das neue Landwirtschaftsgesetz verlangt von uns, dass wir dazu eine Verordnung erstellen. Das ist das dringendste Projekt. Auch muss die landwirtschaftliche Beratung noch in diesem Jahr aufgegleist werden, und die Vorlage zur Änderung des Sozialhilfegesetzes ist pendent. Weitere Aufgaben liegen in der Optimierung des Asylwesens und ab Herbst in der Erstellung einer neuen Tourismusstrategie.

Herr Mühlemann, Ihrer Vorgängerin wurde vorgeworfen, sie engagiere sich mehr im Kultur- als im Sportbereich. Auch Sie stehen der Kultur privat näher.

Mühlemann: Sowohl Kultur als auch Sport haben im Kanton traditionell einen hohen Stellenwert und eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung. Dem müssen wir Rechnung tragen. Mit dem neuen Sportanlagenkonzept werden demnächst konkrete Vorschläge zur verstärkten Förderung des Sports in den Landrat kommen. Er wird über einen grossen Katalog geplanter Erweiterungen und Sanierungen von Sportanlagen befinden können.

Wie sind Sie von den bisherigen Regierungsräten aufgenommen worden?

Mühlemann: Wir hatten eine sehr gute Einführung durch Landammann und Ratsschreiber. Sie haben uns alle Prozesse, aber auch Hürden und Stolpersteine erläutert. Die anderen warten natürlich nicht auf unsere Meinung. Da muss man sich aktiv einbringen.

Lienhard: Wenn man neu in ein solches Gremium kommt, ist man zu Beginn wohl eher zurückhaltend und hört sich alles an. Gelegenheiten, seine Meinung im Gremium zu äussern, werden geboten und müssen genutzt werden.

Herr Mühlemann, im Wahlkampf haben Sie betont, Sie wollen frischen Wind in den Regierungsrat bringen. Ist Ihnen das schon gelungen?

Mühlemann: Auf jeden Fall. Ich konnte die Sichtweise der jungen Generation schon öfter einbringen. Dass deswegen nicht plötzlich alles Bewährte über den Haufen geworfen wird, versteht sich aber von selbst.

Was war das schönste Erlebnis, dass Sie bisher im Amt erleben durften?

Mühlemann: Die unzähligen Begegnungen mit interessanten Menschen. Als Bildungsdirektor waren vor allem die Zeugnis- und Diplomübergaben an verschiedenen Abschlussfeiern eindrücklich. Das Leuchten in den Augen der jungen Leute, die ihren Karriereweg starten.

Lienhard: Bei mir waren es auch die Begegnungen mit Menschen. Viel Freude hat mir auch die Einarbeitung in den mir neuen Sozialbereich gemacht.

Herr Mühlemann. Als FDPler wären Sie aber sicher nicht enttäuscht gewesen, im Wirtschaftsdepartement zu landen. Fühlen Sie sich strafversetzt in die Bildung?

Mühlemann: Im Gegenteil, es ist genau richtig gekommen. Ich habe mich direkt nach der Wahl stark mit dem Departement Bildung und Kultur angefreundet. Ich denke, es ist ideal, wenn sich ein junger Familienvater mit Bildungs- und Familienpolitik befasst. Zudem bin ich auch sportlich und kulturell fit – da passt also alles.

Wo besteht im Familienbereich denn der grösste Handlungsbedarf?

Mühlemann: Da, wo auch das Landsgemeindegeschäft ansetzt – bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu braucht es gute und bezahlbare Betreuungsmöglichkeiten. Ebenfalls die Sensibilisierung der Familien für bestehenden Angebote.

Lienhard: Es gibt sicher einige Schnittstellen zum Bereich Soziales. Familienfreundlichkeit kann zum Beispiel als Argument in der Standortförderung von Firmenansiedlungen und in der Wohnstandortförderung dienen.

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